Emile Gallé – Alchemist des Art Nouveau
Selten kann man ein so großes Spektrum von Arbeiten Emile Gallés im Rahmen einer Auktion bewundern. Die etwa 40 Vasen, die zu Lebzeiten Gallés entstanden, stammen aus drei deutschen und österreichischen Privatsammlungen. Es wird die stilistische und technische Vielfalt des Oeuvre Gallés beinahe vollständig dokumentiert und seine Motivwelt eindrucksvoll und ausführlich gezeigt. Überfangtechniken und Marqueterien, Einschlüsse von Folien, Oxiden und anderen Materialien, die so genannte Patinage, ebenso Aufschmelzungen von Cabochons und Spinnen, um die Techniken im heißem Zustand zu nennen. Diverse Schnitttechniken, wie Gravur oder Martelé und Ätzungen, Emailbemalungen, um die Techniken im kalten Zustand zu nennen. Historistische Motive, die geheimnisvolle Welt des Symbolismus, der Japonismus und Gallés Liebe zur Pflanzenwelt bestimmen die Darstellungen auf Gallés Arbeiten. All dies kann man an den Gefäßen, die in der Zeit um 1878 bis kurz vor Gallés Tod 1904 entstanden, bewundern.
Noch lange vor der Blüte des Jugendstils entstanden die frühesten Arbeiten der Auktion. Um 1878 schuf er die kleine Vase aus farblosem Glas ‚Chasse‘ (€ 1.600 – 1.800). Zu jener Zeit favorisierte Gallé das farblose Glas. Es nimmt Bezug auf Arbeiten aus früheren Epochen, die in Bergkristall gefertigt wurden. Die in Nadelätzung gezeichnete Jagdszenerie zeigt einen Jäger in modischer Kleidung des 18. Jahrhunderts. Die gravierten Voluten und Palmetten und ebenso die emaillierten Ränder nehmen den Renaissance-Stil auf. Arbeiten dieser Art dürften auch auf der Pariser Weltausstellung von 1878 gezeigt worden sein, als Emile Gallé sich erstmals ausschließlich mit eigenen Kunstwerken und nicht mit denen der väterlichen Keramik-Produktion präsentierte. Auf dieser Weltausstellung zeigte Gallé auch das so genannte ‚Clair de Lune‘-Glas, ein blasses, leicht opaleszent bläulich oder grünlich schimmerndes Überfangglas. Auf der Auktion wird eine kleine Vase dieser Art mit emaillierten Schnecken für € 1.800 – 2.400 sowie eine bläuliche Vase in der selben Technik mit zwei Fröschen und einer Libelle angeboten (€ 1.500 – 2.500).
Die in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre entstandene Vase ‚Epis de blé et Insectes‘ zeigt sich bereits mit deutlichen Anklängen des Jugendstils. Die Farbpalette ist noch zurückhaltend, der Grundton im ‚Clair de Lune‘-Grün schimmernd, der Dekor ist mit seinen Weizenähren und verschiedenen Insekten im naturalistisch japonistischen Stil, der für die Entwicklung des Jugendstil so wichtig war. Die aufwändig hochgeätzte und emailbemalte Vase mit Schmetterlingen und Käfern ist auf € 2.000 – 2.500 geschätzt.
Um 1890 schuf Emile Gallé den Henkelkrug ’Sceau de Salomon’. Die Form entspricht der eines eingerollten Blattes, der Dekor ist teils plastisch, mit aufgelegten Bändern als Blütenstängel und emaillierten Blüten, Beeren und Blättern des Salomonssiegel. Der auf € 3.500 – 4.500 taxierte Krug ist eine frühe puristische Arbeit des Künstlers und prägend für die Epoche des Jugendstils. Hier wird auch bereits Gallés besondere Liebe zu Pflanzen mit narkotischer oder toxischer Wirkung sichtbar.
Aus dem Jahr 1894 stammen zwei Vasen in der Auktion, die beide symbolistischen Charakter besitzen. Die knapp 50 cm hohe Stangenvase ‚Erable en automne avec toile d’araignée‘ zeigt eine große plastisch applizierte Spinne in ihrem Netz inmitten von leuchtend roten Blättern des herbstlichen Weinlaubs (€ 5.000 – 6.000). In Form eines Nashorn-Stoßzahnes schuf Gallé eine Vase, die ebenfalls mit Weinlaub dekoriert ist und dies in nächtlicher Stimmung zeigt (€ 5.000 – 6.000).
Gallé bediente sich bei besonderen Arbeiten gerne der symbolistisch-mystischen Motivpalette. Er besaß eine große Allgemeinbildung, besonders, was die Literatur anging, war politisch engagiert und ein Experte in der Welt der Botanik. Die Auswahl der Tiere und Pflanzen sowie der dargestellten Jahres-, Tageszeiten und Witterungen war niemals zufällig. Ganz offensichtlich sind diese Verbindungen bei der Verwendung von Spinnen, Fledermäusen oder Nachfaltern, oder bei den floralen Motiven Gift- und Heilpflanzen, Pflanzen mit berauschender Wirkung, Nachtschattengewächse oder erotisch konnotierte Gewächse zu erkennen. Dass diese Arbeiten bei Sammlern besonders hoch im Kurs stehen, liegt auf der Hand.
Ende der 1890er Jahre schuf Gallé zwei Vasen in gleicher Farbpalette, die ebenfalls in der Auktion angeboten werden. 1897/98 entstand die flache Marqueterie-Henkelvase ‚Colchiques‘ in Bernstein und Violett (€ 3.500 – 4.500). Die Marqueterie-Technik ist eine äußerst aufwändige und demzufolge bei Sammlern sehr gefragte Technik. Hierbei werden farbige Glasplättchen auf den Korpus aufgewalzt. Hier muss mit größtem technischen Können und Sorgfalt vorgegangen werden, da die aufgebrachten Plättchen in ihrer Form kaum verändert werden können, sobald sie auf dem Glaskörper haften.
Bei gut gelungenen Stücken ist die Wirkung viel stärker als durch Schnitt oder Ätzung herausgearbeitete Motive. Bei der kleinen Vase sind eine violette und eine bernsteinfarbene Herbstzeitlosenblüte zu sehen, die in dunstiger Stimmung inmitten von streifig verzogenen violetten Bändern stehen. Die dunstig-herbstliche Stimmung wird noch durch winzige eingeschmolzene ‚Verunreinigungen‘ verursacht, die sich als blasig-wolkige Zwischenschicht darstellen und von Gallé als ‚Patinage‘ bezeichnet wurde. Die dargestellte Herbstzeitlose gilt aufgrund ihrer späten Blüte als Symbol der Vergänglichkeit, das in ihr enthaltene Colchicin besitzt eine Heilwirkung bei geringer Dosierung, ist jedoch, bei höherer Dosierung, tödlich.
Eine Vase mit dem geschnittenen Orchideen-Motiv der Cattleya zeigt sich in der gleichen Farbpalette und wurde von Gallé um 1900 geschaffen (€ 6.000 – 7.000). Technisch sehr vielseitig wurde die Vase mit Folieneinschlüssen und ebenfalls mit einer schönen ‚Patinage‘ versehen. Die gesamte Oberfläche ist aufwändig geschnitten. Die Deutlichkeit der erotischen Konnotation des Motivs wird klar, wenn man bedenkt, dass Marcel Proust in seiner wenig später erschienenen Romanfolge ‚Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘ ‚Cattley spielen‘ als erotisches Codewort zwischen den Protagonisten verwendete.
1898 entwickelte Emile Gallé eine weitere Technik der Oberflächenbehandlung, die er als ‚Patine‘ bezeichnete. Gallé machte sich dabei eine durch Verunreinigungen im Glasofen entstehende oberflächliche Mattierung zunutze, die man normalerweise bei der Glasherstellung vermeiden möchte. Im kontrollierten Verfahren schuf er eine matt schimmernde, leicht strukturierte und irisierte Oberfläche. Im Falle der Pokalvase ‚Pissenlit‘ ist dieser Effekt nur partiell, wohl mithilfe von Schablonen, auf der Oberfläche angebracht. Lediglich die runden, als Pusteblume bezeichneten Fruchtstände werden in dieser Technik zum Leben erweckt (€ 2.000 – 2.500).
Entdecken Sie die Vielfalt dieser und der vielen anderen Kunstwerke aus der Zeit des Jugendstils und des Art Déco während der Vorbesichtigung zur Auktion vom 18. bis 22. Mai und seien Sie bei der Auktion am 23. Mai im Saal, im Internet oder am Telefon mit dabei!